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"Quo vadis Marktforschung: Innovative Ansätze für Entscheider und Dienstleister in Zeiten von Big Data & Co."
 

Am 13.10.2016 veranstaltete die Wissenschaftliche Gesellschaft für Innovatives Marketing (WiGIM) e.V. den 8. Deutschen Marketing-Innovations-Tag zum Thema „Quo vadis Marktforschung: Innovative Ansätze für Entscheider und Dienstleister in Zeiten von Big Data & Co.“ im Marmorsaal des Presse-Clubs Nürnberg. Kompetente Referenten aus Wissenschaft und Praxis nahmen zu diesem Thema Stellung, um mit den rund 60 Teilnehmer/-innen über den Wandel der Marktforschung sowie über innovative Marktforschungsansätze im digitalen Zeitalter zu diskutieren.

Prof. Dr. Andreas Fürst (Präsident der WiGIM) eröffnete den 8. Deutschen Marketing-Innovations-Tag mit der Begrüßung der Teilnehmer und einem kurzen Überblick über den Wandel der Marktforschung. Aufgrund einer Veränderung des Kauf- und Nutzungsverhaltens von Konsumenten, neuer Technologien und daraus folgender neuer Erfordernisse am Markt entstünden neue Formen und Instrumente der Marktforschung, wie die Online- und Social Media Forschung oder die Analyse von Big Data und Customer Journeys. Aus dem Ziel, das Budget und externe Abhängigkeiten zu reduzieren, ergäbe sich für Entscheider ein Trend zur Do-it-yourself-Marktforschung. Dienstleister stünden dagegen einem hohen Innovationsdruck gegenüber, da sowohl die Konkurrenz als auch die Ansprüche der Kunden steigen.

Neue Technologien und enorme Datenmengen als zentrale Herausforderungen

Die genannten Gründe und Entwicklungen griff Dr. Gerhard Hausruckinger (Sprecher des Vorstands, GfK SE) in seinem Vortrag „Der Wandel der Marktforschung“ auf und leitete daraus aktuelle Herausforderungen für die Marktforschung ab. Dazu zählen neue Technologien wie z.B. das Internet der Dinge, mobile Online-Dienste und Social Media, der effiziente Umgang mit enormen Mengen an Daten und die Methoden, diese zu erheben und auszuwerten. Außerdem wäre es notwendig, ein umfassenderes Bild vom Konsumenten zu erforschen, dabei die Kosten gering zu halten und sich von konkurrierenden Unternehmen zu differenzieren. Demnach seien die vier Disziplinen Messen, Vorhersagen, Erklären und Beraten notwendig, um der Arbeit eines Marktforschers gerecht zu werden. In einer immer komplexer werdenden Welt, die zunehmend von Daten bestimmt wird, sei es essentiell für die Marktforschung, nicht nur Daten zu erheben, sondern auch Lösungen für die Probleme der Kunden zu finden.

Andreas Onnen (Leiter Analytics & Insights D/A/CH, Procter & Gamble) beleuchtete in seinem Vortrag „Marktforschung im Wandel – betriebliche Marktforschung in Zeiten von Big Data und Small Budget“ die Seite des Auftraggebers von Marktforschung. In seinem Unternehmen wurde Marktforschung früher größtenteils zum Zwecke des Risikomanagements genutzt. Heute ginge es aufgrund veränderter Entscheidungsstrukturen und der Größe des Marktes vielmehr um das Chancenmanagement. Procter & Gamble investiere daher zunehmend in Grundlagenforschung und das Verständnis des Kundenverhaltens am Point-of-Sale. Die Gesellschaft verfüge über eine enorm große Menge an Daten, begrenzt sei das Wissen nur durch die mangelnde Kapazität diese auszuwerten und zu erfassen. Aus diesem Grund setze sein Unternehmen in Bezug auf qualitative Forschung beispielsweise auf projektive Techniken, Beobachtungen und Tiefenforschung. Ähnlich gehe es auch bei der Bewertung externer Marktforschungsinstitute vor. Datenqualität werde vorausgesetzt, Entscheidungskriterien seien hauptsächlich Insights und Schlussfolgerungen für das Geschäft. Die zukünftige Aufgabe von unternehmensinterner Forschung, vor allem aber von Marktforschungsinstituten, sei es den Konflikt zwischen Big Data und Big Complexity aufzulösen. Herr Onnen gehe davon aus, dass der Markt für Marktforschung auch in Zukunft weiter wächst, allerdings nicht zwingend der der Marktforschungsinstitute. Daher sei es für diese wichtig, sich mit dem Trend zu entwickeln.

Marktforschungsinstitute müssen sich neu definieren

Im darauffolgenden Vortrag „Adtech und Programmatik – die wichtigsten Zukunftsthemen in der Mediaforschung?“ berichtete Martin Krapf (Geschäftsführer, Screenforce) von den Ergebnissen einer Befragung, bei der er die wichtigsten Mediaforscher zu Herausforderungen in der Marktforschung und Anforderungen an Marktforschungsinstitute befragte. Ausschlaggebend seien in der Branche der Bewegtbildformate der Konflikt zwischen gemeinsamen und individuellen Lösungen, sowie ein Mangel an Wirkungsnachweisen für immer komplexere Kampagnenstrukturen. Um die Mediabranche effektiver unterstützen und beraten zu können, müssten Marktforschungsinstitute sich neu definieren und neue Qualifikationsprofile herausarbeiten. Der Einfluss innovativer Ansätze wie Adtech und Programmatik sei für den Medienhandel in der Bewegtbildbranche aktuell noch wenig relevant. Aus den Befragungsergebnissen leitete Herr Krapf abschließend Thesen zum aktuellen Stand der Marktforschung in seiner Branche ab. Die Differenzierung gegenüber anderen Unternehmen und die Tätigkeit von Beratern gewinnen aufgrund zunehmender Komplexität an Bedeutung. Durch verschwindende Grenzen sei die Marktforschung zu einer Neuausrichtung gezwungen und müsse in Zukunft professioneller arbeiten, indem sie sich an bestimmte Definitionen und Qualitätsstandards halte. Nur so könne der bestehende Konflikt zwischen wirtschaftlichen Zwängen und Qualität gelöst werden. Die Marktforschung müsse sich stärker profilieren und klarer Stellung beziehen. Die digitale Transformation könne daher für die Marktforschung aufgrund des Marktwachstums sowohl eine Chance als auch aufgrund neuer Konkurrenten am Markt ein Risiko darstellen.

Anschließend setzte sich Dr. Andreas Neus (Head of Future and University Programs, GfK Verein) in seinem Vortrag „Innovationsblindheit und die Zukunft der Marktforschung” mit innovativen Möglichkeiten auseinander, um Veränderungen in der Marktforschung zu begegnen. Das Voranschreiten technischer Innovation führe zu radikalen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, da der Konsument heutzutage aktiv mitreden könne. Man müsse sich auf den Wandel hin zu einem viel aktiveren Kunden (Prosument) einstellen und als Unternehmen sein Wertangebot im Markt neu überdenken. Besonders disruptive Innovationen würden oft zu spät erkannt, da sie nicht zu den im Gehirn verankerten mentalen Modellen des Marktes passen. Entscheidungsfehler entstünden dabei unter anderem auf Basis unvollständiger Informationen, aufgrund von Betriebsblindheit durch Arbeit nach festgefahrenen Mustern und dann, wenn Annahmen als selbstverständlich gelten. Es bestehe die Gefahr einer Zombie-Organisation, die sich vom Feedback des Marktes abschotte und nach einer eingefahrenen Routine handle. Hier sei es entscheidend zu sehen, wie Nichtkunden den Wertbeitrag und die Qualität des Unternehmens verstehen. Demzufolge sei es sehr wichtig, in der Marktforschung die richtigen Fragen zu stellen und mit empirischen Daten mentale Modelle zu überprüfen, Chancen zu erkennen und zu nutzen.

User Generated Content gewinnt an Relevanz

Am Nachmittag gab Dr. Dirk Schachtner (Vorstand, Consline) in seinem Vortrag Einblicke in das „Social Media Monitoring: Marktforschung und Entscheidungsfindung im digitalen Zeitalter“. Er sprach über die zunehmende Bedeutung und die Besonderheiten von User Generated Content. Es handle sich um die Erfahrung von Kunden, die Ihrer Meinung im Netz Ausdruck verleihen. Auch wenn der Prozentsatz der aktiven Nutzer sehr klein sei, so werden immer mehr passive Nutzer durch deren Statements erreicht. Die Inhalte seien unstrukturiert und fänden sich in einer Vielzahl verschiedener Quellen. Durch die intrinsische Motivation der Nutzer seien die Inhalte für den Kunden jedoch ein besonders schnelles und authentisches Feedback. Da sich nur rund fünf bis zehn Prozent des User Generated Contents auf den eigenen Social Media Kanälen der Unternehmen befände, beschäftige sich die Firma Consline mit den vielen unternehmensunabhängigen Kanälen und überarbeite die Inhalte für ihre Auftraggeber. Die Vorgehensweise des Customer Voice Monitorings hätte einige Vorteile, da Inhalte nicht immer mit Keywords versehen wären, oft nur von Menschen bzw. Muttersprachlern aus dem Kontext verstanden würden oder mehrere Aussagen enthielten. Zudem seien die Statements kategorisiert und anhand ihrer Tonalität und Relevanz bewertet. Auf diese Weise gelänge es, eine zuverlässige Produktbeobachtung während des gesamten Lebenszyklus zu gewährleisten, schnelles Feedback nicht nur zu echten Fehlern, sondern auch zu Konzeptthemen zu erhalten, die Stärken und Schwächen des Produkts aus Kundensicht zu erfahren und schließlich eventuelle Verbesserungen der Service- und Betriebs-Performance durchführen zu können.

Im Anschluss referierte Dr. Jens Cornelsen (Geschäftsführer, defacto digital research) über die „Herausforderungen der Marktforschung der Zukunft – Online, Mobile & Social“. Sein Unternehmen spezialisiere sich auf digitale Konsumententrends für Markt- und Konsumentenforschung, sowie digitale Themen. Er beobachte, dass das Wettbewerbsfeld der Marktforschung zunehmend breiter werde, da auch Unternehmensberatungen vermehrt im Sektor tätig seien, um Lösungen fundieren zu können. Zudem sprach er von einer Tendenz zur Trivialisierung der Marktforschung. Probleme entstünden für die klassische Marktforschung außerdem durch einen immer schnelleren, jüngeren, komplexeren und interdisziplinären Markt. Um Lösungen zu finden, wäre es notwendig die Bereiche CRM und Research zu verbinden, um validere Messungen durchführen zu können. Möglichkeiten dazu böten beispielsweise die finanzielle Bewertung von Nichtkaufgründen, die Live-Messung durch Mobile Geo-Fencing- und Point-of-Emotion Score Methoden, sowie die Verwendung von Brand Advocates im Social Media Bereich. Herr Dr. Cornelsen schlussfolgerte, dass zukünftig diejenigen Marktforschungsunternehmen am erfolgreichsten seien, die die analytischen Teildisziplinen am besten verstünden, den User-Gewohnheiten am nächsten seien und auf die richtigen Brand Advocates im Social Web setzten.

Im Fokus der darauffolgenden Podiumsdiskussion standen die Fragen, was die prägnantesten Entwicklungen der Marktforschung seien, wer den Marktforschungswettbewerb gewinne und inwiefern sich die Anforderungen an einen Marktforscher gewandelt hätten. Hierzu diskutierten die vier Referenten Andreas Onnen (Procter & Gamble), Martin Krapf (Screenforce), Dr. Andreas Neus (GfK Verein) und Dr. Dirk Schachtner (Consline) unter der Moderation von Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Diller. Zunächst stand die Frage im Raum, ob es in der Marktforschung der Zukunft ausreicht, flach und schnell zu handeln. Herr Onnen beantwortete diese Frage mit der Betonung darauf, dass schnell und flach durchaus möglich sei, man jedoch die Qualität der Daten nicht vernachlässigen dürfe und das Denken des Kunden an erster Stelle stehen müsse. Vor allem sei es notwendig abzugrenzen, welche die schnellen Bereiche und welche die Investitionsbereiche in einem Unternehmen seien. Herr Dr. Schachtner stellte ebenfalls die Wichtigkeit der Kundenorientierung heraus. Das Problem in vielen Unternehmen sei hierbei ein internes Ressortdenken. Das bedeute, dass interessante Ergebnisse aus gesammelten Daten für einen direkten Ansprechpartner auch aus einer anderen Sichtweise betrachtet werden sollten und so auch andere Abteilungen davon profitieren könnten. Herr Krapf sprach über die Bedeutung langfristiger Kundenbeziehungen als wesentliche Komponente der Marktforschung und darüber, dass schnelle Ergebnisse ohne Vermarktungsleistung immer weniger nachgefragt würden. Herr Dr. Neus zeigte ein Schnittstellenproblem der Marktforschung auf. Auf der einen Seite stehe die Forschung und das Wissen über die Daten und auf der anderen Seite müsse man auch die Kundenprobleme verstehen. Qualität müsse dabei nicht absolut sein, sondern es wäre entscheidend, Fehler zu erkennen, wenn man schnell sein möchte.

Auf die Frage nach den Unterschieden und der Relevanz qualitativer und quantitativer Marktforschung betonte Herr Dr. Schachtner, dass man heute noch nicht wisse, wie mit einer derartig großen Menge an quantitativen Daten umzugehen sei und man deshalb qualitative und quantitative Marktforschung als komplementäre Module ansehen müsse. So könne man sich beispielsweise mit qualitativen Voranalysen an große Datenmengen herantasten und mehr Nutzen daraus ziehen. Herr Dr. Neus fügte noch hinzu, dass eine klare Trennung zwischen qualitativer und quantitativer Marktforschung in Zukunft nicht bestehen könne. Wichtig sei es, sich nicht an alten Methoden festzubeißen und nicht zu versuchen, damit neue Problemstellungen zu lösen. Ebenso solle man nicht nur über die klassische Befragung, sondern vermehrt über Beobachtung in der Marktforschung nachdenken.

Ein weiteres spannendes Thema eröffnete die Frage, wie sich der Wettbewerb der Marktforschung in Zukunft gestalten werde - vor allem im Hinblick auf die zunehmende Gründung neuer Unternehmen. Die Diskussionsteilnehmer waren sich alle in der Hinsicht einig, dass Start-Ups positive Auswirkungen auf den Wettbewerb in der Marktforschung nehmen würden. Herr Dr. Neus führte an, dass der Markt von den Kunden bestimmt sei und am Ende die Frage stünde, wer einen Mehrwert für seinen Kunden bieten könne. Hier spiele die ordentliche Interpretation der Daten und die Beratung der Kunden eine wichtige Rolle. Start-Ups wären eine gute Möglichkeit, Ideen und Kompetenzen zu generieren. Zuletzt bliebe aber auch die Frage, wer dem Kunden alles aus einer Hand anbieten könne. Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Diller machte darauf aufmerksam, dass sich neue Wettbewerber häufig am Rande des Marktes für spezifische Kundenanforderungen positionieren und sich daraus das Bild der Marktforschung deutlich verändere. Beim Thema Kostenwettbewerb wurde festgestellt, dass die Kosten im Vergleich zur Qualität eine untergeordnete Rolle spielten, solange der Kunde einen Mehrwert wahrnehme und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimme.

Zum Abschluss eröffnete Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Diller noch die Diskussion über die Anforderungen an künftige Marktforscher. Die Diskussionsteilnehmer stellten fest, dass es momentan schwer sei, die richtigen Leute zu finden. Während Mitarbeiter aus der klassischen Marktforschung teilweise starre Denkmuster hätten, seien Mitarbeiter aus dem Consulting nicht an der Tiefe der Daten interessiert. „Den Marktforscher“ gäbe es nicht mehr, da er heutzutage mindestens zwei Anforderungsprofile erfüllen müsse. Zum einen das Profil eines Technikers, der sich mit technologischen Möglichkeiten auskenne und zum anderen das eines Spezialisten, der mit der Tiefe der Daten vertraut ist, gleichzeitig jedoch den Mut eines Beraters habe. So werde es auch immer wichtiger, dass auch auf Management-Seite mit Daten umgegangen werden kann, die Neugierde für Daten vorhanden sei und dass man sich mit dem Thema Behavioral Economics – dem menschlichen Verhalten in wirtschaftlichen Situationen – immer mehr auseinandersetzt.

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Wir möchten uns an dieser Stelle nochmals herzlich bei den Sponsoren des 8. Deutschen Marketing-Innovations-Tages bedanken

8. Tagung

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